Greifswald, 13. Januar 2023 – Dr. Marcel Schneider und Raphael Rataj haben das ganz große Geschütz aufgefahren. Ein Gerät, das 80 Kilogramm wiegt und das mehrere Monate auf dem Gelände der Anklamer Zuckerfabrik zum Einsatz gekommen ist. Die Wissenschaftler hatten bei ihren Besuchen in Anklam diese Plasmaquelle samt 1,5 kW-Hochspannungspulsgenerator im Gepäck, um mit Plasma – also einem Gas, das durch die Zufuhr von Energie ionisiert wird – Abwasser aus der Zuckerfabrik zu behandeln. Am besten so gut, dass das Abwasser in den Produktionsprozess der Zuckerfabrik zurückgeführt werden kann. Das würde enorme Mengen an Frischwasser einsparen und wird von den beiden Wissenschaftlern des Leibniz-Instituts für Plasmaforschung und Technologie e.V. (INP) in Greifswald erforscht.
Projektpartner aus der Wirtschaft konstruieren und testen Technologien
Seit Dezember 2021 war das Projekt PHYSICS FOR ENVIRONMENT aus dem Labor in die Quasi-Wirklichkeit verlegt worden. Der Projektpartner Harbauer GmbH aus Berlin hat einen Demonstrator konstruiert, in dem sich 1:1 die Prozesse nachbilden lassen, die nötig sind, um durch verschiedene physikalische Verfahren aus Abwasser wieder Frischwasser zu machen. Die Cosun Beet Company GmbH & Co. KG hat hierfür einen Teil ihres Zuckerfabrik-Geländes und ihr Prozessabwasser zur Verfügung gestellt. Insgesamt sind ein Kubikmeter Wasser pro Stunde – also so viel wie fünf gefüllte Badewannen – durch den Demonstrator gelaufen, der in einem 20 Fuß-Container untergebracht ist.
Raphael Rataj und Dr. Marcel Schneider waren regelmäßig in Anklam, um diese Anlage zu betreiben. Während die violetten Plasmafilamente durch eine Spannung von 20.000 Volt auf Wassertröpfchen gezündet und so die Flüssigkeit behandelt wurden, nahmen sie Proben. Ein langer Prozess, wie die beiden Wissenschaftler nur zu gut wussten, aber ein Vorgehen, das sich lohnt.
Demonstrator dieser Größenordnung und Ausstattung ist bemerkenswert
Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnern des INP wollen dem Abwasser nicht nur mit Plasma zu Leibe rücken, sondern auch mit Ultraschall. Das entsprechende Modul war seit Frühjahr 2022 in Betrieb und gehörte zu den insgesamt acht im Demonstrator getesteten Technologien. Dabei sind Spaltrohr, Kiesfilter, Ultrafiltration, UV-Behandlung, Ozon und Aktivkohlefilter die bereits für eine Wasseraufbereitung etablierten Technologien, während es die Wirkung von Plasma, Ultraschall und gepulsten elektrischen Feldern noch im Detail zu erforschen gilt. Mit diesen Methoden sollen neue Wege beschritten werden. Es gibt aktuell im Übrigen kaum Anlagen in der Größenordnung des Demonstrators, bei denen diese innovativen Technologien mit den etablierten Verfahren verglichen aber auch kombiniert werden können, und die bei einem hohen Durchsatz die Behandlung unter realistischen Bedingungen ermöglichen.
Erste Ergebnisse können mit Konkurrenz mithalten
Die ersten nun vorliegenden Zwischenergebnisse stimmen optimistisch: Plasma und Ultraschall sind durchaus konkurrenzfähig zu etablierten Methoden wie Ozonung, UV-Behandlung oder Aktivkohle. Die Konkurrenzfähigkeit bezieht sich sowohl auf Behandlungseffektivität gegenüber Keimen und Pestiziden, als auch auf ihre Kosteneffizienz. In den nächsten Wochen wird der Demonstrator von der Berliner Firma Harbauer noch umgebaut, dann soll er bei der Braumanufaktur Störtebeker in Stralsund für Versuche neu aufgebaut werden. Die weitergehende Forschung wird sich zudem mit der Regenwasseraufbereitung und der Behandlung von Feldablaufwasser beschäftigen.
Im Rahmen des durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekts PHYSICS FOR FOOD, das die Hochschule Neubrandenburg mit dem INP und Wirtschaftspartnern auf den Weg gebracht hat, wird drängenden Fragestellungen nach weniger Chemie in der Land- und Ernährungswirtschaft in insgesamt sieben Leitprojekten nachgegangen. Was können Plasma, ultraviolettes Licht oder auch gepulste elektrische Felder tun, damit in der Landwirtschaft und agrartechnischen Produktionsprozessen weniger Chemie gebraucht bzw. die Umwelt dadurch weniger belastet wird? Durch Plasma und Co. soll damit eine weitestgehend physikalische Antwort auf drängende Fragen in Zeiten des Klimawandels und sich ändernder Ansprüche an die Landwirtschaft gegeben werden. Es geht um mehr Physik beim Klima- und Umweltschutz.